5. Klar-Schachturnier 19.07. - 22.07.07


„Wozu eine Axt beim Schachspiel nützlich sein kann“

Schon einige Male habe ich mich gefragt, was einen guten Schachspieler wirklich auszeichnet; welche herausragenden Fähigkeiten denn vorhanden sein müssen, um sein Spiel auf ein hohes Niveau zu führen. Dass sich diese Grübeleien irgendwann mal auszahlen könnten, hätte ich dann aber doch nicht erwartet. Und sei es nur dafür, einen Turnierbericht verfassen zu können. Geduld und Leidensfähigkeit

Diese beiden Eigenschaften fielen mir sofort ein. So war z.B. der ehemalige Weltmeister Tigran Petrosjan berühmt für seine geduldige, ja sogar als „eisern“ bezeichnete Verteidigung. Verteidigen - ok, das kann ich ganz passabel - und Leiden werde ich eh immer und immer wieder bei einem Schachturnier in Greifswald. Nicht etwa, weil das Hotel so schlecht wäre, der Kaffee so lasch, das Wetter so mies … Nein, nur aus dem einfachen Grund, dass die Auslosungsmaschine von Turnierleiter Gudo Springer mich hasst. Ja, richtig verstanden, ich unterstelle diesem elenden Computer Absicht - ich gehe fest davon aus, dass dieser Apparat zu menschlichen Gefühlen fähig ist.

Und auch diesmal wurde ich nicht „enttäuscht“.

So durfte ich nicht nur mit drei jungen und spielstarken Talenten die Klingen kreuzen, Roy Mirke (Motor Eberswalde), Elisa Hartmann und Lars Romoth (beide SV Gryps), auch wurde mir unser Jugendchäffä Daniela Heinrich zugelost. Andreas Manz (Chemie Weissensee), der Mitglied unserer kleinen „Fahrgemeinschaft“ nach Greifswald war, überraschte mich als Gegner nicht mehr besonders. Als obligatorisch empfand ich, dass die Nummer 1 der Setzliste, Hans-Jürgen Kliewe (ASV Grün-Weiß Wismar), zu meinem Gegnerkreis zählte. Und dann war da noch Sven Helms (SG Eintracht Neubrandenburg), Nr. 3 der Setzliste, dem ich in der 3. Runde gegenüber sitzen durfte. Den kannte ich nun ausnahmsweise mal nicht - konsequenterweise schob er mich dann auch in 30 Zügen gnadenlos zusammen. Und wieder einmal bereute ich es, keine Axt für diese Auslosungsblechkiste mit nach Greifswald genommen zu haben. Aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben….

Ausgesprochen große Geduld und Leidensfähigkeit bewies ebenfalls Peter Kutschke (HSG Uni Rostock). In fast allen Partien erspielte er sich in gewohnt souveräner Art gute Stellungen, doch hatte er wenig Glück bei der Umwandlung in Punkte. Sein Endergebnis von +1 =6 -0 ist wohl auch dem Fakt geschuldet, dass er nur einen Tag vor Turnierbeginn aus dem Urlaub zurückgekehrt war. Aber immerhin blieb er ungeschlagen, was er später mit einem Augenzwinkern als Turnierresümee bei der Siegerehrung lieferte. Ein gutes Gedächtnis

Ich muss gestehen, dass ich des öfteren mein Handy, Geldbörsen und Hausschlüssel verlege, liegen lasse oder auf andere Art und Weise „wegzaubere“. Selbst beim Schach macht sich diese leichte Schussligkeit oft bemerkbar. So vergesse ich Eröffnungsvarianten meist sehr schnell, übersehe taktische Einschläge und Zwischenzüge oder schlafe aufgrund der spannenden Stellung auf dem Brett während einer Partie einfach ein.

Und im Bewusstsein dieser negativen Eigenschaften habe ich immer wieder ein mulmiges Gefühl, wenn mir junge, aufstrebende Talente, in Fachkreisen gern Taktik- und Eröffnungsmonster genannt, zugelost werden. Und wie bereits erwähnt, zählten ja diesmal drei Vertreter dieser schachlich „brandgefährlichen“ Spezies zu meinen Gegner. Um diese Hürden bewältigen zu können, muss man schon zu mal zu ungewöhnlichen Mitteln greifen.

Ob es einfach nur Panik war, oder eine psychologische Meisterleistung, vermag ich nicht zu beurteilen, aber da ich glücklicherweise in allen drei Partien die weissen Steine führen durfte, war da noch ein „Pfeil in meinem Köcher“.

Und zumindest in der ersten Partie gegen Roy Mirke wirkte der Eröffnungszug 1.h4? wahre Wunder. Sofort aus dem Tritt gebracht, spielte er zwar zunächst natürliche und vollkommen logische Züge, fand sich aber in der entstandenen Stellung wohl nicht zurecht, und nach 1.h4 d5 2.h5 e5 3.h6 Sxh6 4.d4 e4 5.Lxh6 gxh6 6.e3 Lf5 7.c4 führte dieses Unbehagen zur fortwährenden Verschlechterung seiner Stellung. Das Turmendspiel mit einem weissen Mehrbauern war dann trotz meiner Beteiligung ausnahmsweise mal nicht remis.

Wesentlich weniger Effekt hatte das Experiment dann schon bei Elisa Hartmann. Kämpferisch wie immer übernahm sie die Kontrolle über die Partie, und verschaffte sich eine vorteilhafte, wenn nicht sogar schon gewonnene, Stellung. Es hätte mich zumindest nicht verwundert, wenn Elisa bei meinem ersten Remisangebot im 10. Zug einfach lauthals lachend den Saal verlassen hätte. Doch trotz meines groben Fehlers im Mittelspiel bestrafte sie mich nicht vollkommen, und nach weiterem Zögern ihrerseits war mein zweites Remisangebot im 22. Zug dann schon eher als Geschenk zu bewerten. Die Ablehnung überraschte mich jedenfalls ein wenig, aber nicht so sehr, dass ich das überaus vorteilhafte Endspiel noch vergeigt hätte. Mit einer Figur weniger und wenige Züge vor dem Matt gab meine Gegnerin dann auf. Ein glücklicher Punktgewinn, denn die Eröffnung und zu gewissen Teilen das Mittelspiel hatte sie grandios behandelt.

Dass ich auf diese Eröffnungszüge dann bei meiner Partie gegen Lars Romoth verzichtete, lag daran, dass wir am Bowlingabend zuvor bereits auf das Thema zu sprechen kamen, und er nach der Partie auch „zugab“, sich vorbereitet zu haben. Insofern hat mir hier wieder das Gedächtnis geholfen - wenn es bei einem „älteren Herren“ wie mir auch nur dazu reicht, das Gesprächsthema des Vorabends nicht zu vergessen. Gute Technik

Oft hat man bei Partieanalysen wohl schon diesen Satz gelesen oder gehört: „Der Rest ist Sache der Technik.“ Und obwohl jede Stellung voller verborgener Eigenheiten sein kann, ist eine gute Technik unerlässlich. Wer Schach als Sport ansieht, den mag dies auch nicht zu überraschen, da doch z.B. in vielen Disziplinen der Leichtathletik die Technik über die Platzierungen entscheidet. Doch bei der Definition von Schach als Sport, Kunst oder Wissenschaft scheiden sich ja bekanntlich die Geister. Und dass diese Unklarheiten zu Recht bestehen, und dass gute Technik nicht so einfach von einer Sportart auf die andere zu übertragen ist, zeigte wieder einmal der Bowlingabend. „Eleganz pur“ - so oder so ähnlich würde man wohl für das Spiel von Rüdiger Schönrock (HSG Uni Rostock) werben. Doch trotz der guten Technik lässt sich das, zumindest beim Bowling, nicht immer in Erfolge ummünzen. Und auch Gudo Springer hatte arge Mühe, seine präzisen Schwünge in Strikes, Spares oder sonstige feine Sachen umzuwandeln.

Kleinere Probleme bereitete ihm darüber hinaus das Eintippen des eigenen Vornamens, was zu kollektiven „GUDO! GUDO!“-Rufen animierte. Ob sich diese neuartige Schreibweise durchsetzen wird, bleibt abzuwarten.

(Der Autor dieser Zeilen wird jedoch bis auf weiteres diese neue Version verwenden, und erklärt sich überaus glücklich darüber, nicht den Bowlingcomputer bedient haben zu müssen.)

Wesentlich weniger Sorgen mit reichlich Punkten, und wohl auch mit seinem Vornamen, hatte da schon Peter Kutschke. Seine Würfe könnte man wohl am besten mit „Den Tiger im Tank“ beschreiben. Das gleicht dann selbst den Fakt aus, dass er einige Kugeln bis direkt vor die Pins „schleuderte“. Jedenfalls schienen Runden jenseits der 150 kein großes Problem darzustellen.

Ebenso erfolgreich spielte Andreas Manz, der hier in beiden Bereichen überzeugen konnte - Kraft und Technik. Da scheint ein großes Talent heranzureifen….

Zur Briesener Bowlingtechnik lässt sich nur soviel sagen, dass alle drei Teilnehmer überaus engagiert waren. Daniela Heinrich überzeugte mit raffinierten Spinvarianten, Philipp Heinrich mit eiserner Ruhe und äußerst flexibler Gestaltung des Abwurfes und Icke … freundete mich auf einer Bank lümmelnd mit einem Bitburger Pilsner an und kommentierte den Abend mit gewohnt dümmlichen Kalauern. Und zumindest bei Enrico Eichstädt, der extra zu diesem epochalen Sportereignis angereist war, zeigten sie Wirkung: Er blieb doch weit unter seinen Möglichkeiten, nahm dies aber mit Gelassenheit und Humor. Auf jeden Fall sind diese Bowlingabende immer wieder eine gelungene Ergänzung zum Schachturnier, was nicht zuletzt an der angenehmen Atmosphäre der Bowlingbar liegt. Zumindest in Greifswald scheint diese nicht mehr nur ein Geheimtipp zu sein. Ein geschultes, scharfes Auge

Speziell für Taktiker erweist sich dies oft als ungemein hilfreich, z.B. wenn man den Königsangriff schon 20 Züge im Voraus sehen kann. Nun bin ich zwar nicht grad für mein hochtaktisches Spiel bekannt und zudem noch Brillenträger, trotzdem war ich wohl der einzige, dem die innovative Punkteteilung bei einer Remispartie während des Turniers aufgefallen war. Anders konnte ich mir meine Buchholzwertung von 4.6 Punkten jedenfalls nicht erklären. Oder war es gar der Versuch, einen der etlichen Neuerungsvorschläge für das schachliche Wertungssystem endlich einmal umzusetzen, und Remisen mit Schwarz mit 0.6 Punkten zu belohnen? Allzu banal war dann jedoch die Erklärung von Gudo Springer, es handle sich dabei erneut nur um einen ordinären Tippfehler. Wirklich schade …. Flexibilität, Originalität und Kreativität

Pläne anzupassen, zu verwerfen oder komplett neu zu erstellen - all dies muss man während einer Schachpartie leisten können. Und stellungsgemäß muss das Ganze auch noch sein. Dass diese Eigenschaften nicht nur während einer Partie wichtig sind, wurde wieder einmal vielfach bewiesen.

Äußerst flexibel zeigte sich zum Beispiel Turnierleiter Gudo Springer. Er beantworte den verzweifelten Ruf nach Würfeln von Daniela Heinrich, offenbar motiviert durch das etwas glücklose Spiel vom Jugendchäffä, prompt und besorgte ihr von der Hotelleitung ein glänzendes Paar. Ihr Antrag, bei einem Pasch zweimal ziehen zu dürfen, wurde jedoch abgelehnt.

In Sachen Kreativität muss Peter Kutschke erwähnt werden. Nicht nur der Fakt, dass er trotz seiner Remisserie in jeder Stellung immer wieder mit originellen und gefährlichen Plänen überraschte, sondern auch seine Variante des alten Klassikers „Alles wird gut“ von Nina Ruge in ihrer Sendung „Leute Heute“ wird uns noch lange als Running Gag begleiten. „Vieles wird gut“, wahlweise mit ernster Miene und erhobenem Zeigefinger gesprochen, sorgte zumindest während des Turniers immer wieder für Erheiterung. Doping

Ja, in Zeiten, in denen bei manchen Pedalakrobaten vor lauter EPO, Steroiden und Testosteron jetzt schon nach Blut gesucht wird, statt andersherum, muss auch dieses brisante Thema angesprochen werden. Es herrscht ja immer noch die Meinung vor, dass beim Schach Doping im Grunde nicht möglich sei, da keine Substanzen bekannt seien, die wirklich hilfreich sein könnten. Entsprechende Versuche von prominenten Schachspielern, z.B. mit Betablockern, unterstreichen diese Ansicht.

Und tatsächlich schienen unsere armseligen Versuche des Blutdopings mit „Pina Colada“, „Mai Thai“ und „Tequila Sunrise“ eher für Verwirrung zu sorgen als für Leistungssteigerung. Speziell bei Daniela Heinrich wirkten sich diese Experimente wenig positiv aufs Schachspiel aus. Was jedoch andere Sportarten wie Darts, Billard oder einarmiges Reissen angeht, so verzeichneten doch beide Probanden erstaunliche Fortschritte. Und Fragen wie „Hicks! Wieviel Bier passt eigentlich in den Tank da, den du Bauch nennst?“ oder „Hicks! Wieso liegen hier 12 Cocktail-Schirmchen auf dem Tisch?“ sorgten zumindest an den Abenden für gute Laune. Fazit dieses Experiments muss dann wohl sein, dass auch Alkohol nicht als Dopingmittel beim Schach geeignet ist, aber zumindest dafür sorgt, dass einem schlechte Ergebnisse nicht die Laune verhageln. Hicks! Logisches Denken

Natürlich sorgt diese Fähigkeit für gute Ergebnisse beim Schach. „Wenn er xxx zieht, dann xxx, und xxx, ….“ Das haben wir alle bestimmt schonmal gemurmelt oder gedacht. Umso erstaunlicher sind immer wieder die geistigen Tiefflüge mancher prominenter ELO-Giganten, besonders wenn es um Logik o.ä. geht.

Und auch in diesem Punkt wurde ich in Greifswald nicht „enttäuscht“, wenn es sich jedoch diesmal nicht um einen ELO-Giganten handelte.

Offenbar motiviert durch die „Würfel-Affäre“, unsere nächtlichen „Sauftouren“ und vielleicht auch meine eröffnungstheoretischen Neuerungen, sah sich ein mit einer durchaus respektablen DWZ ausgestatteter Teilnehmer, der nicht namentlich genannt werden soll, zu folgender, ernstgemeinten (!) Frage genötigt: „Es scheint so, dass man sich beim SV Briesen nicht ernsthaft mit Schach befasst. Seid ihr eigentlich nur zum Vergnügen hier, oder auch zum Schach spielen?“ Diese Rekordleistung an Dümmlichkeit soll hier nur am Rande erwähnt sein, um auf die Gefahren des Schachspiels hinzuweisen, ebenso auf die Tücken allzu großer Spezialisierung. Denn allzu große Konzentration auf einen bestimmten Bereich des Lebens kann in manchen Fällen dazu führen, dass man in anderen Bereichen zur kompletten Niete verkümmert. Überraschenderweise sind diese „anderen Bereiche“ des Lebens bei Schachspielern oft so wichtige Dinge wie „soziale Kompetenz“ oder „Umgangsformen“. An prominenten Beispielen für diese These dürfte es nicht mangeln. Auch Titel wie „Weltmeister“ und „Größter Schachspieler aller Zeiten“ bewahren einen nicht davor, auf nicht schach-spezifische Fragen kompletten Unsinn zu antworten.

Wehret den Anfängen!

P.S.: Der Antrag zur Umbenennung des SV Briesen in SSV Briesen (Schach- und Spaßverein Briesen) wurde einstimmig abgeschmettert.

P.P.S.: Der erwähnte Schachprofi erreichte einen negativen Score und blieb etliche Plätze hinter dem besten Amateur vom SV Briesen. Soviel zur ernsthaften Beschäftigung mit Schach….

P.P.P.S.: Spezieller Dank ergeht hier an Werner Püschel (SG Lasker Steglitz-Wilmersdorf). Die leider viel zu kurze Unterhaltung über Marotten von Schachspielern hat mich sehr erheitert, und dass Angebot eines kurzen Vortrages über „Schach und Manieren“ anlässlich eines Trainingslagers wird ernsthaft geprüft. Fazit

Das Turnier wurde souverän und ohne größere Pannen durchgeführt. Bis auf die erwähnte Ausnahme war es wieder einmal ein Vergnügen, sich mit anderen Schachspielern zu treffen und zu unterhalten. Das Hotel besticht durch vernünftige Preise, große Sauberkeit und und originelle Architektur. Lediglich die Ausstattung im Internatsbereich dürfte für normale Hotelgäste ein wenig spärlich sein. Das Personal bot alle Facetten von unterkühlt bis herzlich, und war wie immer hilfsbereit und zuvorkommend.

Kurz gesagt: Man trifft sich gern beim guten Gudo!

Zuletzt geändert: 2017/12/27 17:53